GAIA nimmt optimune aus DiGA-Listung
Aufnahme in die DiGA-Liste, Zulassung, Erstattung und Markterfolg sind kein Automatismus bei den digitalen Therapiehilfen. Das muss nun auch die Hamburger GAIA AG im Fall der Onkologie-App optimune einsehen. Für die endgültige Zulassung wären die Kosten für die schon begonnene klinische Studie durch den ausgehandelten Erstattungsbetrag nicht refinanzierbar gewesen. Also zieht man in Hamburg jetzt die Reißleine.
Die randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zu optimune, einem digitalen Therapeutikum für Patientinnen mit Brustkrebs, wird vorzeitig gestoppt. Das entwickelnde Unternehmen Gaia AG, Hamburg, teilt mit, dass „vor dem Hintergrund der zu erwartenden, nicht kostendeckenden Preise eine Fortsetzung der Studie nicht wirtschaftlich sei“. Das Therapeutikum ist derzeit als vorläufig zugelassene digitale Gesundheitsanwendung im DiGA-Verzeichnis gelistet und wird ab dem 14. Juli 2024 nicht mehr auf Kassenrezept für Patientinnen erstattungsfähig sein. Vor wenigen Wochen war klar geworden, dass der mit der GKV verhandelte Erstattungspreis für eine onkologische DiGA pro Verschreibung voraussichtlich bei 200 bis 300 Euro liegen würde und damit die steigenden Entwicklungs- und Studienkosten nicht decken würde. Die Brustkrebs-DiGA optimune verschwindet damit in der Innovations-Schublade, obwohl eine Verbesserung der Lebensqualität der Nutzer habe gezeigt werden können.
Dr. Mario Weiss, Arzt und CEO von Gaia sagt: “Wir bedauern zutiefst, dass optimune den Betroffenen bald nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Als Unternehmen, das für Forschung und Innovation im Bereich digitaler Therapeutika steht, haben wir uns die Entscheidung nicht einfach gemacht. Nach intensiven Abwägungen müssen wir jedoch erkennen, dass es die preislichen Rahmenbedingungen für DiGA einem mittelständischen Unternehmen nicht erlauben, komplexe onkologische Forschung kostendeckend zu betreiben. Das ist umso schmerzhafter, weil die ersten Studiendaten auch der zweiten Studie von optimune auf sehr positive Ergebnisse hingedeutet haben.”
Optimune wurde am 14. Juli 2022 durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Digitale Gesundheitsanwendung gelistet. Diese vorläufige Zulassung ist noch bis zum 13. Juli 2024 gültig, die zweite Studie hätte den Nachweis eines positiven Effektes auf die Gesundheitsversorgung erbringen müssen, um die App als dauerhaft zugelassen einordnen zu dürfen. Patientinnen, die das Programm derzeit nutzen, können dieses nach Unternehmerangaben noch für den Rest der 90-tägigen Laufzeit ohne Einschränkungen verwenden. Auch ein Support sei gewährleistet.
Die Grundlage für die vorläufige Zulassung war eine klinische Studie (Holtdirk et al., 2021) mit 226 Probandinnen. Sie zeigte, dass optimune zusätzlich zu einer üblichen Versorgung die Lebensqualität der Patientinnen nach 12 Wochen stärker verbesserte als die übliche Versorgung allein. Um die dauerhafte Listung als DiGA zu erhalten, sollte im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) die Wirksamkeit von optimune bei 680 Patientinnen mit Brustkrebs und abgeschlossener Akuttherapie untersucht werden. Diese RCT war bereits fortgeschritten und zeigte vielversprechende Ergebnisse.
Dr. Mario Weiss erklärt: “Im Vergleich zu anderen Indikationen ist Forschung in der Onkologie sehr komplex, aufwendig und risikoreich. Das war uns zum Start der Studie durchaus bewusst. Dank positiver erster Wirknachweise und der Forschungserfahrung in unserem Team sind wir sehr optimistisch in dieses RCT-Projekt gestartet. Wir waren überzeugt, dass das Gesundheitssystem Preisbedingungen für digitale Therapien schafft, die Forschung und Entwicklung auch in schwierigen Indikationen wie der Onkologie refinanzierbar macht. Leider mussten wir feststellen, dass das nicht der Fall ist.”
Gaia hat bereits mehrere Produkte aus dem Bereich evidenzbasierter digitaler Therapiesysteme entwickelt. Zur Produktpalette gehören neben optimune zahlreiche innovative Therapien für Indikationsbereiche wie Depression, Rheuma, Multiple Sklerose und Rückenschmerzen. Das mittelständische Unternehmen aus Hamburg konnte bereits in über 30 RCTs und Metaanalysen bestätigen, dass die Produkte das Ziel einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung erreichen. In einer Zusammenarbeit mit der französischen Pharmafirma Servier hatte Gaia eine DiGA-App im Bereich der Psychiatrie entwickelt, die nach Zulassung lange Jahre gemeinsam vermarktet wurde. Im Frühjahr zog sich Servier jedoch aus dieser Partnerschaft zurück und überließ die weitere Vermarktung den Hamburgern alleine. Auch dabei sollen wirtschaftliche Gründe die ausschlaggebende Rolle gespielt haben.
Für den Verband der forschenden Arzneimittelfirmen, vfa, ist diese Entwicklung alarmierend. „Digitale Gesundheitsanwendungen spielen eine immer wichtigere Rolle in der Medizin und im Gesundheitswesen. Deutschland sollte den Anspruch haben, als europäischer Leitmarkt zu fungieren und eine Spitzenversorgung im digitalen Bereich zu ermöglichen. Dies wird jedoch nicht gelingen, wenn der Erstattungsrahmen hierzulande nicht mehr die nötigen Forschungsleistungen refinanzieren kann“, so vfa-Präsident Han Steutel.